„Finger weg!“ - Willy Wimmer

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wimer2018Willy Wimmer

 
Die amerikanische Botschaft in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, gab in diesen Tagen eine Erklärung heraus. Darin wurde der vor uns stehende Herbst 2018 als besonders günstiger Zeitpunkt für eine Vereinbarung der Republik Serbien mit der Europäischen Union und anderen über einen möglichen Beitritt der Republik Serbien zur Europäischen Union angesprochen. Zuvor sollten allerdings bestimmte, in der Region bestehende Streitfragen, vertraglich beendet worden sein. Damit hat die amerikanische Botschaft die Frage danach aufgeworfen, was sie das angeht oder ob die Europäische Union nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nur ein Erfüllungsgehilfe der Vereinigten Staaten und Helfershelfer bei der mutwilligen Zerstörung der Bundesrepublik Jugoslawien in den letzten Jahrzehnten gewesen sei. Durch diese Verlautbarung seitens der amerikanischen Botschaft  kommen natürlich Erinnerungen hoch. Auch daran, daß die angeblichen Verhandlungen zwischen der Republik Serbien, der Europäischen Union und anderen über bestimmte Fragen im westlichen Balkan so gar nicht dem entsprochen haben, was gemeinhin als Verhandlungen angesehen wird.  In jeder Verhandlungspause mußten sich der Vertreter der Europäischen Union und andere bei einem in einem Nebenzimmer ebenfalls anwesenden amerikanischen Repräsentanten einfinden, um die einzelnen Schritte bei den Gesprächen zu rechtfertigen. Wer genau hinsieht, der stellt diplomatisches Faustrecht und nicht das fest, was man allgemein als diplomatische Verhandlungen ansieht. Dafür wird jetzt Druck erzeugt, um den Herbst „fix zu machen“ wie es  so salopp wie zutreffend heißt?

Unter  diesen Umständen ist es geradezu zwingend, genauer hinzusehen bei der Frage, wozu Belgrad seine Zustimmung geben soll?

Bei jeder gravierenden Entscheidung, von der man als Mensch oder als Nation betroffen ist, stellt sich eine und  alles entscheidende Frage:„Kann man damit leben?“ Das fragt sich jeder, auch eine Nation, dem oder der etwas abverlangt wird, das man getrost als „einschneidende Maßnahme“ bezeichnen kann.
                                               
Jeder Mensch und jede Nation muß dazu eine Abwägung vornehmen, die eigenes Verhalten ebenso einbezieht wie das Verhalten Dritter. Wenn dabei dem Gedanken der Fairness entsprochen wird, mag auch eine schwere Last zu tragen sein. Wenn aber von einem Menschen oder einem Volk verlangt wird,  auch noch das eigene „Herz“ als Nation herauszureißen, kann das weder für das Volk noch seine Nachbarn gut gehen. Warum sage ich das? Wir stehen kurz davor, an das Ende des Ersten Weltkrieges und den Vertrag von Versailles zu erinnern. Das haben 2017 der französische Präsident Macron und der amerikanische Präsident Trump in Paris gleichsam am 14. 7. 2017 vorweggenommen. Nach den berühmten „14 Punkten“ des amerikanischen Präsidenten Wilson empfanden die Mittelmächte Versailles als Betrug und Diktat und es wurde das Tor für den nächsten europäischen Krieg aufgestoßen. Wenn man wirklich über Verhandlungen eine Lage befrieden will, darf nicht an die verheerenden Erfahrungen von Versailles angeknüpft werden. Vor allem deshalb, weil Serbien die Zustimmung zu einer Regelung von objektiv bestehenden Streitfragen abverlangt wird, die bei genauer und näherer Betrachtung die Fortsetzung einer Aggression gegen einen Gründungsstaat der Vereinten Nationen, nämlich die Bundesrepublik Jugoslawien, darstellen. Will man eine Nation vollends im Staub sehen?

Wir wissen doch alle, wie es denen erging, die die deutsche Unterschrift unter Versalles gesetzt haben. Will man das jetzt auf serbischer Seite billigend in Kauf nehmen?  Will man wegen künftiger Entwicklungen in Europa schon mal eine Kriegsfackel zur Verfügung haben, die von den heute so üblich gewordenen „Nichtregierungsorganisationen“ nach Bedarf gezündet werden kann? Wir dürfen nicht vergessen, womit die Kriege auf dem Balkan unter globalpolitischen Überlegungen seit 1990 gerechtfertigt und angestrebt worden sind.

Eine Zustimmung in Belgrad zu dem, was man Belgrad im Grunde auf- oktroyiert hat, ist mehr als eine „Operation am offenen Herzen.“ Damit verlagern diejenigen, die- nach Gerhard Schröder- mit dem Krieg gegen Jugoslawien das Völkerrecht gebrochen haben, ihre Verantwortung für diesen Krieg auf die Schultern des Serben, der unter dieses Diktat seine Unterschrift setzt und zerreißt die serbische Nation. Ist genau das gewollt?

Es hätte anders gehen können. Man muß danach fragen, warum die
Europäische Union wegen ihrer frühen Verantwortung für den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht über ihren Schatten gesprungen ist und das Prinzip: Beitritt nach Unterschrift nicht in der
Reihenfolge: Beitritt und dann Regelung noch offener Fragen angeboten hat? Unbeschadet der Frage nach dem derzeitigen Zustand der Europäischen Union ist es unbestritten, daß der praktischen Handhabung von Streitfällen durch die Europäische Union eine friedensstiftende Fähigkeit zukommt. Viele Betrachter der Lage

auf dem Balkan gehen davon aus, daß nach einem EU-Beitritt bestimmter Partner sich zwar Streitfälle nicht in Luft auflösen, aber nichts mehr sind im Vergleich zu den Problemen von heute. Man winkt Belgrad mit einer vielschichtigen „fata morgana“ und bewirkt in Wirklichkeit nur eine Verschärfung ohnehin zugespitzter Probleme. Wer gegen Jugoslawien einen Krieg mit vom Zaun gebrochen hatte, sollte der serbischen Nation Gerechtigkeit zukommen lassen und nicht an der Überlegung kleben: Beitritt zu Europäischen Union nach Unterschrift.

Warum unter diesen Umständen auch noch Zeitdruck. Das ist in Anbetracht einschlägiger Erfahrungen der letzten Jahrzehnte geradezu verräterisch. Damit kommt die Frage auf, wer in den letzten Jahrzehnten die Probleme auf dem Balkan in welcher Weise für sich selbst genutzt hat. Da muß man in erster Linie an Großbritannien denken. Nach dem Urteil deutscher Diplomaten, die mit am Tisch gesessen haben, hatte Großbritannien immer und zuerst die Frage im Blick, welche Auswirkungen vertragliche Regelungen auf dem Balkan in Streitfragen auf die Entwicklung der eigenen Herausforderungen auf den britischen Inseln haben würden? Darum ging es der Regierung in London und weniger um die Lage und den Frieden auf dem Balkan. Kommt die von britischen Gesprächspartnern vermittelte Eilbedürftigkeit in Sachen Balkan nur aus dem Umstand, daß im Herbst London die EU so oder so verläßt und dabei jede Mitsprache auf Seiten der EU in Balkan-Angelegenheiten verliert? Das hätte man sich in London eben anders überlegen sollten. Aber warum verlangt man von Belgrad, den Preis dafür zu zahlen, daß London nicht mehr bei der EU mitspielen will?

Es war aber nicht nur Großbritannien alleine, daß für seine höchst eigenen Überlegungen auf dem Balkan engagiert gewesen ist. Die berühmten Spatzen haben es von den Dächern gepfiffen, daß eine nahöstliche Friedensregelung, die diesen Namen auch verdienen soll, eine Reservefläche auf dem Balkan benötigt. Der amerikanische Präsident Trump arbeitet mit Hochdruck an diesen Regelung, aber niemand kann heute sagen, welchen Handlungsspielraum eben dieser Präsident nach den Zwischenwahlen in USA im November 2018 überhaupt noch hat. In Washington werden Kübel von Haß und Feindschaft über einen Präsidenten ausgekippt, der „droht“, sich mit der Russischen Föderation auch im Nahen Osten zugunsten einer Friedenslösung zu verständigen. Krieg geht in Washington scheinbar immer, für Verständigung geht man ein tödliches Risiko ein. Aber soll Belgrad dafür in die Verpflichtung gehen? Ob die amerikanische Botschaft in Belgrad das weiß?  Oder ob sie mal ins serbische Nachbarland Rumänien blickt, wo sich ein Mitgliedsland der Europäischen Union geradezu zerlegt. Ist das die Verheißung für Serbien? Nein: „Finger weg!“

Willy Wimmer, 11. August 2018,